Fünf Personen sitzen auf einem Podium

Politik – einfach vermittelt

Ein Bericht von Renate Betzwieser, 1a Zugang, Sindelfingen

In Deutschland dürfen die meisten Menschen mit Behinderungen wählen. Vom Wahlrecht ausgeschlossen sind nur die, die eine „Betreuung in allen Angelegenheiten“ benötigen, also in der Regel Menschen mit schweren geistigen Behinderungen. Doch bei der Suche nach Informationen, beispielsweise über die Landtagswahl in Baden-Württemberg, stoßen viele auf Barrieren.

Um diese Barrieren abzubauen, hat die 1a Zugang Beratungsgesellschaft mit dem Geschäftsfeld capito Stuttgart ein Schulungskonzept entwickelt. In Workshops wurden im Vorfeld zur Landtagswahl in Baden-Württemberg Menschen mit Lernschwierigkeiten geschult und auf die Wahl vorbereitet. In diesen Workshops wurden die Politik, die Aufgaben von Politikern sowie der Ablauf der Wahl verständlich vermittelt. Auch wurden Fragen erarbeitet, mit der die Zielgruppe in der anschließenden Podiumsdiskussion mit den Landtagskandidaten in den aktiven Austausch ging. An sechs Standorten fanden die Workshops statt und in fünf Städten die dazu gehörige Podiumsdiskussion.

Bei den Podiumsdiskussionen wurde es dann konkret. Auf dem Podium stellten sich die Politiker­Innen den Fragen.

Auch ließen es sich die Gastgeber, z. B. Landrat Roland Bernhard in Böblingen oder Landrat Joachim Walter in Tübingen, nicht nehmen, bis zu 80 Gäste in ihren Sitzungssälen zu begrüßen und hervorzuheben, dass sie stolz sind, diese Veranstaltung zur Landtagswahl in ihren Landkreisen eröffnen zu dürfen. Weitere Workshops und Podiumsdiskussionen in dieser Form fanden in Stuttgart, Reutlingen, Sigmaringen und Leonberg statt. Insgesamt wurden 261 Personen in den Workshops geschult, und es nahmen 300 Personen aus unterschiedlichen Bereichen an den Podiumsdiskussionen teil.

TeilnehmerInnen kamen aus Werkstätten für behinderte Menschen, Förderschulen, Seniorentagbetreuungen oder auch aus den Teilhabebeiräten der jeweiligen Landratsämter.

Die Mitwirkenden wollten beispielsweise wissen, was die Politiker tun, um im Ballungsraum Stuttgart für mehr bezahlbare, barrierefreie Wohnungen zu sorgen. Andere wollten wissen, warum Rollstuhlfahrer es immer noch so schwer haben, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen – etwa weil Aufzüge defekt sind oder Busfahrer keine Rollstuhlfahrer mitnehmen. Auch Einschränkungen der persönlichen oder finanziellen Freiheit wurden emotional diskutiert. Wenn Menschen mit Behinderungen beispielsweise eine monatliche Eingliederungshilfe beziehen, dürfen sie nicht mehr als 2600 Euro ansparen, kritisierte ein Teilnehmer.

Die Landtagskandidaten gaben den Fragenden Auskunft. Dabei wurde deutlich, dass die Parteien ganz unterschiedliche Lösungsansätze haben, wenn es beispielsweise um die Behebung der Wohnungsnot geht. Dass Busse und Bahnen auch für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich werden müssen, darüber waren sich jedoch alle Kandidaten einig. Der CDU-Landtagsabgeordnete Paul Nemeth sieht dafür die USA als Vorbild, wo die Barrierefreiheit von öffentlichen Einrichtungen seit mehreren Jahrzehnten gesetzlich vorge­schrieben ist.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl ermunterte die Teilnehmer, nicht nur weiterzugeben, wo sie der Schuh drückt, sondern sich auch selber in einer Partei zu engagieren. „Ohne Behinderungen erkennen wir häufig gar nicht, welche Hindernisse Ihnen im Weg stehen!“

Sehr deutlich wurde, dass Menschen mit Behinderungen ernst genommen werden wollen und eine Begegnung auf Augenhöhe erwarten. Auch die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) lernt bei solchen Veranstaltungen dazu: So mahnte eine Mitarbeiterin des Beratungsunternehmens 1a Zugang, beim LpB-Infostand neben den Broschüren keine bunten Luftballons auszulegen – Menschen mit Behinderungen wollen schließlich als Erwachsene ernst genommen werden.

„Wenn die Politiker nur einen Teil von dem umsetzen, was wir uns heute gewünscht haben dann wäre das schon ein großer Schritt für uns“

Am Ende der Podiumsdiskussion gaben die Landtagskandidaten positive Rückmeldungen. „Es war sehr eindrucksvoll, was Sie an Wünschen und Beschwerden vorgetragen haben“, sagte FDP-Landtagskandidat Andreas Knapp. „Für uns Politikerinnen und Politiker ist es unheimlich wichtig, dass es solche Kontakte gibt“, ergänzte Thekla Walker, Kandidatin und Landesvorsitzende der Grünen. „Wenn die Politiker nur einen Teil von dem umsetzen, was wir uns heute gewünscht haben“, so ein Teilnehmer, „dann wäre das schon ein großer Schritt für uns“.

Die Workshops und Podiumsdiskussionen wurden von der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg gefördert und in enger Zusammenarbeit mit der 1a Zugang / capito Stuttgart organisiert und durchgeführt.

In eigener Sache, als externe Vertrauensperson der Werkstatträte der GWW Region Sindelfingen, möchte ich InteressensvertreterInnen in Werkstatt­räten, Heimbeiräten, Bildungsbeiräten, im Beirat der Förder- und Betreuungsbereiche ermuntern: Bilden Sie sich eine Meinung, bringen Sie sich ein und gestalten Sie die Gesellschaft mit. Gehen Sie wählen, egal ob zur Landtagswahl, in den Werkstätten oder den Wohnstätten – wo immer Sie die Möglichkeit haben. Nehmen Sie Ihr Wahlrecht ernst. Denn eine inklusive Gesellschaft lässt sich nur gestalten, wenn wir uns alle beteiligen.